"Bekennen auch unsere Schuld u. Versagen unseres Volkes":
Nur ca. 60 Menschen bei der Gedenkfeier am Sonntag auf dem Judenfriedhof in Ellwangen
Pfarrer Bernhard Richter am Sonntag:  "Genau so verneigen
wir uns auch vor allen die damals nicht weg geschaut haben"


Pfarrer Bernhard Richter hielt die beachtliche Gedenkrede zum Volkstrauertag  auf dem Judenfriedhof in Ellwangen. Sas war ja hier in Aalen auf der Schillerhöhe am Ehrenmal anders, wo dieses Bild am Sonntag kurz vorher entstand: Über 150 Zuhörer und viel Prominenz.                        AIZ-Foto: Dieter Geissbauer
Aalen. Auch die Juden haben es verdient mit ihrem Tod nicht in Vergessenheit zu geraten. Deshalb fand am Sonntag dem Volkstrauertag 2014 auf dem Judenfriedhof in Ellwangen eine Trauerfeier  statt, der - im Gegensatz zu Aalen auf der Schillerhöhe am Kriegerdenkmal - leider nur ca. 60 Zuhörer gezählt wurden, darunter auch Ellwangens OB Karl Hilsenbek. Nur schade dass nicht mehr Ellwangener die hervorragende Gedenkrede des Aalener Stadtpfarrers und Kreisrates Bernhard Richter hören konnten weil sie fern blieben im Kampf um den Frieden in der Welt. Deshalb hat sich die AIZ kurzfristig entschlossen die Gedenkrede des Aalener evangelischen und beliebten Pfarrers Bernhard  Richter - weil volksnah und verstöndlich für das Volk - leider nicht hören konnten. Da wir davon ausgehen dass die AN in Ellwangen und die Schwäpo die Rede nicht abdrucken und OB Hilsenbek keinen Platz auf der Internetpräsenz der Stadt findet druckt aktuell nur die AIZ diese Rede ab, die jeder lesen sollte:

Jüdische Friedhof Ellwangen: Nicht so gepflegt wie deutsche Gräber
Gedenkrede am Volkstrauertag, 16. November um 14 Uhr auf dem Jüdischen Friedhof in Ellwangen: Sehr geehrter Herr Oberbürger-meister, Liebe Bürgerinnen und Bürger der Stadt Ellwangen, liebe Freunde des Friedensforums: Wie gut, dass es Tage gibt, an denen wir zurückblicken. Wie gut, dass es im Jahr Anlässe gibt, an denen wir geradezu verpflichtet werden, uns zu erinnern, auch wenn es uns nicht immer ganz so leicht fällt. Wir blicken ja gerne zurück, wenn es um freudige Ereignisse geht, einen Geburtstag, ein Familienfest, eine schöne Urlaubsreise, eine erfüllende Begegnung, an ein unver-gessliches Wiedersehen. An all das erinnern wir uns gerne. Auch das Ellwanger Stadtjubiläum gibt ja genügend Anlass, zurück zu blicken auf 1.250 Jahre Geschichte dieser Stadt, Anderes, das unangenehm war, das Schwierigkeiten bereitet hat, wo wir schuldig geworden sind, wo wir etwas versäumt haben, wo Leid und Trauer das Leben geprägt hat, wo Gewalt und Terror zum Tagesgeschehen gehörten, wo Krieg und Zerstörung in unserem Land tobten, daran lassen wir uns nur ungern erinnern.

Das verdrängen wir allzu gerne aus unserem Leben. Wie gut, dass es darum den heutigen Sonntag, diesen Volkstrauertag gibt. Auch wenn es sich bei Trauer immer um etwas sehr Persönliches und Individuelles handelt, auch wenn wir davon ausgehen können, dass nie ein ganzes Volk trauert, so brauchte es doch gerade ganz bes-onders einen solchen Tag, diesen Volkstrauertag, damit wir wieder einmal schmerzlich daran erinnert werden, wie viel Menschenleben Kriege kosten und wie Gewalt und Terror bis heute unsere Welt prägen.

Und so denken wir heute an den Ersten Weltkrieg, der vor hundert Jahren ausgebrochen ist, und wir blicken zurück auf den Zweiten Weltkrieg, der am 1. September vor 75 Jahre begonnen hat. Und wir gedenken heute all derer, die in diesen Weltkriegen ihr Leben lassen mussten. Und wir denken an diesem Ort und auf diesem Friedhof natürlich auch in besonderer Weise an das unselige und unzählige Leid, das von deutschem Boden ausging und dem jüdi-schen Volk gegolten hat und alles jüdische Leben für unwert gehalten und vernichtet hat. Und so verneigen wir uns vor allen, die der jüdischen Religion angehörten und dafür gedemütigt, ins KZ-verschleppt, vergast oder auf andere Weise ermordet wurden. Und genauso verneigen wir uns auch vor allen, die damals nicht weg geschaut haben, die in der Bekennenden Kirche und anderswo gegen die Gleichschaltung der Nazis kämpften, den arischen Rassenwahn nicht unterstützten und sich für jüdische Mitbürger eingesetzt haben, ihnen mitunter sogar einen Unterschlupf gewährt und sie versteckt haben.

Und wir bekennen auch unsere Schuld und unser, das Versagen unseres Volkes, dass damals weggeschaut oder geschwiegen wurde, oder, um mit Worten des Stuttgarter Schuldbekenntnisses zu sprechen, das die Kirchen nach dem Krieg so formuliert haben, wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Auch wenn meine und die nachfolgenden Generationen selber nicht beteiligt war, gehört für mich zu diesem Tag auch eine gewissen Demut, das Eingeständnisse von Versagen und Schuld und die Bitte um Vergebung. Eine solche Haltung und Einstellung ist nämlich der erste Schritt für eine Veränderung und die Erkenntnis, dass so etwas nicht mehr passieren darf.

Denn für mich, liebe Bürgerinnen und Bürger, ist dieser heutige Volkstrauertag nicht nur ein Tag der Erinnerung und des Rückblicks, das wäre meines Erachtens viel zu wenig und würde diesem Tag insgesamt auch nicht gerecht werden. Für mich stellt sich an diesem Tag erneut die Frage, ob wir aus der Geschichte etwas gelernt haben und ob wir bereit sind, Frieden und Freiheit in unserem Land auch mit unseren Kräften zu verteidigen und zu erhalten. Wir dürfen nicht vergessen, dass uns nun bald 70 Jahre Frieden in unserem Land geschenkt sind. Wollen wir das als selbstverständlich oder gar gleichgültig hinnehmen oder sind wir bereit für diesen Frieden in Stadt und Land zu kämpfen, für ein fairen Umgang mit Gottes Schöpfung, für mehr Gerechtigkeit, wenn es um die Verteilung der Güter dieser Welt geht, für ein verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen, die auch nicht unerschöpflich sind. Schätzen wir überhaupt noch, dass es bei uns uneingeschränkte –Glaubens- und Religionsfreiheit gibt.

Sind wir bereit, Leben zu achten, das eine andere Hautfarbe besitzt, eine andere Sprache spricht, einer anderen Kultur angehört? Sprechen wir nur von Toleranz, oder leben wir sie auch im täglichen Leben und im Umgang miteinander? Sind wir mutig genug, rassistisches Gedankengut zu bekämpfen und mutig dafür einzu-treten, dass all jene, die Rassenwahn leugnen oder bagatellisieren und Menschenrechte mit Füßen treten, in unserer Gesellschaft keine Chance haben dürfen? Ellwangen hat auf diesem Gebiet über viele Jahre Großes geleistet und nicht nur punktuell, sondern beständig und beharrlich und mit der nötigen Ausdauer und einem langen Atem, , Friedensarbeit durchgeführt, mit einer wöchentlichen Mahnwache am Fuchseck, mit einer jährlichen Friedensdekade mit bemerkenswerten Veranstaltungen, mit dem regelmäßigen Ostermarsch, der in dieser Stadt zum christlichen Fest der Auferst-ehung ganz selbstverständlich dazugehört. Und vieles mehr.

Landesaufnahmestelle:Ellwangen steht dies-
er Tage vor gewaltigen Herausforderung!"

Ellwangen steht in diesen Tage vor einer gewaltigen Herausfor-derung. Und alle im Land schauen auf diese Stadt. Eine Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge soll kommen, ja wird kommen, und ich füge hinzu: die kann auch kommen. Die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt werden das schaffen und meistern, mit ihrem Oberbürgermeister und ihrem Bürgermeister, mit dem Gemeinderat und vielen engagierten Bürgern. Und sie leisten eine ganz wertvolle und wesentliche Friedensarbeit, so wie diese Stadt die Bundeswehr immer willkommen geheißen und sie integriert hat, das war auch Friedensarbeit, so entwickelt sie jetzt eine neue Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, die vielfach traumatisert sind, erschöpft und geschunden an Leib und Seele. Sie müssen Vertrauen neue entwickeln, sie müssen wieder Hoffnung und Zuversicht bekommen und die Gewissheit, dass ihr Leben Zukunft hat . Flüchtlinge müssen wieder erfahren können, was Heimat ist und was Heimat bedeutet. . Und die erste deutsche Stadt, die viele von ihnen kennen lernen werden, wird Ellwangen heißen. Und sie werden dort erfahren, dass sie willkommen sind, dass Tore nicht nur geschlossen bleiben, sondern auch geöffnet werden, Tore auch des Herzens und der Gesinnung. Und darauf wird es ankommen.Die Arbeit mit und für Flüchtlinge und das bürgerschaftliche Engage-ment, das daraus entsteht, ist eine neue Dimension der Friedens-arbeit, ein neuer Baustein in den vielfältigen Friedensbemühungen der Menschen dieser Stadt.

Wenn 50 Millionen in der Welt auf der Flucht
sind was sind 500 oder auch 1000 Menschen?

Wenn 50 Millionen weltweit auf der Flucht sind, was sind dann 500 oder auch 1000 Menschen, die in eine Landeeerstaufnahmestelle kommen, was sind da 800 neu ankommende Flüchtlinge 2014im Ostalbkreis insgesamt. Das werden wir doch hinbekommen.Darauf baue ich in dieser Stadt, in diesem Landkreis und in unserem Land insgesamt. Und sage bitte keiner: das Boot ist schon voll.25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer müssen wir alles daran setzen, das keine neue Mauern in den Köpfen und Herzen der Menschen aufgebaut werden, nicht in den Köpfen der Ellwanger, aber auch nicht in den Köpfen der Aalener noch irgendwo anders in diesem Land.

Im Alten Testament, der Bibel der Juden und Christen, heißt es im 2. Buch Mose (19.33): Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Land, den dürft ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch .Diesen Bibelvers nicht nur zitieren, sondern mit Leben, mit Fleisch und Blut zu füllen, das wird unser aller Aufgabe sein und blieben, unabhängig von Rasse, ‚Religion, Herkunft und Hautfarbe einander in Achtung und gegenseitiger Toleranz begegnen. Darauf wird es in Gegenwart und Zukunft ankommen. Das nenne ich biblische Willkommenskultur, in Ellwan-gen und hoffentlich überall in unserem Land umgesetzt und prak-tiziert.

Und das, liebe Freunde, gilt nicht nur für die Flüchtlinge, es gilt auch für viele andere, die in unserem Land unsere Hilfe brauchen. Letztlich hat Bert Brecht doch recht, wenn er in seiner Dreigroschenoper Meki Messer sagen läßt: Und die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht, doch man sieht nur die im Licht, die im Dunkeln sieht man nicht.

Verantwortungsvolle Friedensarbeit wird sich darauf konzentrieren müssen, damit die auf der Schattenseite des Lebens stehen, nicht allein, vergessen und benachteiligt bleiben. Verantwortungsvolle Friedensarbeit wird dafür sorgen, dass auch die imDunkeln an dieser Gesellschaft partizipieren dürfen, Friedensarbeit heißt Teilhaben, den Benachteiligten eine Chance geben, damit die ohne Obdach, mit Handicaps, ohne Arbeit, ohne menschliche Zuwendung, mit Schuld-en oder einer Sucht auch ein wenig am Licht dieser Gesellschaft ‚Anteil bekommen.


Und letztlich wird es darum gehen, dass Friedensarbeit nicht etwas ist, das man im Leben auch noch macht, sondern vielmehr etwas sein muss, das mein Leben ganz wesentlich ausmacht. Dann haben wir verstanden, warum es den Volkstrauertag immer noch braucht und auch in Zukunft geben muss. Setzt deshalb in Elwangen ein klares Zeichen der Mitmenschlichkeit, der Solidarität und des Friedens . Es wird weit über diese Stadt hinausstrahlen. Gottes Segen soll Euch dabei begleiten! Schalom Friede sei mit Euch!