Momentaufnahmen zur
Bundestagswahl 2017 in Stadt Aalen:
Jetzt kurz vor
Wahl 2017 sind sie alle endlich
komplett: Spitzenkandidaten am BSZ-Kreisel
Dennoch sind laut Uni Hohenheim Wahlprogramme für Laien
oft unverständlich: "Spiegler" überrundet Kandidaten-Größe
Opel-Spiegler
macht den Wahlplakaten mit dem neuen Auto Konkurrenz: Vier mal so groß.
AIZ-Fotos: Dieter Geissbauer
Aalen. Jetzt zwei Wochen vor der Bundestagswahl sind endlich auch die
Großwerbe-Wahlplakate am Kreisel zum Aalener Ber-ufsschulzentrum komplett:
Zwar wurden alle Großplakate dem Winder verstreut ausgerichtet aber ein noch
größeres Problem ist die Tatsache, dass die Kandidaten aller zur Wahl
stehenden Parteien in der Größe zwar das Maximale in stets gleicher
Spitzengröße darstellen aber am Beispiel des neu aufgestellten Opel-Spiegler-Werbung gegenüber als "Waisen" abgewertet gew-orden sind.
Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim analy-sierten
aktuell die Wahlprogramme auf formale Verständlichkeit und Sprache.
Bandwurmsätze mit bis zu 90 Wörtern (FDP), Wortun-getüme wie
„Gebärdensprachdolmetschung“ (Grüne) oder Fachb-egriffe wie „CO2 Carbon
Capture and Storage“ (Die Linke): Die Wahlprogramme der Parteien sind
heute im Durchschnitt nach wie vor für viele Laien unverständlich. Zu
diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Kommunikationswissenschaftlern der
Universität Hoh-enheim in Stuttgart. Allerdings: Die Programme zur
Bundestagswahl 2013 waren noch unverständlicher.
Das mit Abstand schlechteste Plakat
2017 der FDP mit C. Lindner.
„Damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahl-entscheidung treffen
können, sollten Parteien ihre Positionen klar und verständlich darstellen.
Die Wahlprogramme sind dabei ein Mittel, um die eigenen Positionen
darzulegen“, sagt der Komm-unikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank
Brettschneider von der Universität Hohenheim. Er hat mit seinem Team die
Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2017 untersucht.
Parteien bieten zahlreiche Versionen ihrer Wahlprogramme an: Langfassungen,
Kurzfassungen, Audiofassungen, Themenschw-erpunkte und Videos zur
Präsentation wichtiger Aspekte in Gebärdensprache sowie Übersetzungen in
andere Sprachen. Die CSU legt zusätzlich zum Unions-Programm ihren
Bayernplan vor. Dieser sei, wie die Partei schreibt, „kein Gegenprogramm zum
gemeinsamen Regierungsprogramm von CDU und CSU, sondern eine sehr klare
Zuspitzung aus bayerischem Interesse“.
CDU-Kiesewetter im eigenen Schatten?
Nehmt Hornbrille weg
Das längste Wahlprogramm kommt von den Grünen (238 Seiten bzw. 60.206
Wörter), das kürzeste von der AfD (74 Seiten bzw. etwa 16.010 Wörter).
Insgesamt fassen sich die Parteien 2017 deutlich kürzer als 2013 (im Schnitt
37.000 statt 46.000 Wörter).
„Verpasste Chance für mehr Transparenz und Bürgernähe“: Mit Hilfe
einer Analyse-Software fahnden die Wissenschaftler um Prof. Dr.
Brettschneider unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen,
Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern. Anhand dieser Merkmale bilden
sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“, der von 0 (völlig
unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht.
Im Durchschnitt ist die Verständlichkeit der Bundestags-wahlprogramme mit
9,1 Punkten im Vergleich zu 2013 gestiegen. Damals lag der Mittelwert bei
7,7 Punkten. „Das ist aber immer noch enttäuschend“, urteilt Prof. Dr.
Brettschneider. „Denn alle Parteien haben sich in den letzten Jahren
Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben. Mit ihren teilweise
schwer verdaulichen Wahlprogrammen schließen sie jedoch einen erheblichen
Teil der Wähler aus und verpassen damit eine ko-mmunikative Chance.“
AfD verwirrt mit unverständlicher Sprache, Union und Die Grünen sind am
verständlichsten: Insgesamt schneidet das Programm von CDU/CSU mit einem
Wert von 10,8 (nach 9,9 bei der letzten Wahl) noch am besten ab. Nur der
Bayernplan der CSU ist mit 12,3 formal noch verständlicher. Die Grünen
(10,0) sind wie bei der letzten Bundestagswahl auf Rang 2 (damals: 8,4). Auf
dem dritten Platz liegt die Linke mit 9,3 (2013: 7,7). Es folgen die FDP
(9,1) und die SPD (8,4). Am unverständlichsten ist das Programm der AfD
(7,3). „Die vermeintliche Volksnähe, die die AfD für sich beansprucht,
pflegt sie in ihrer Sprache jedenfalls überhaupt nicht“, stellt Prof. Dr.
Brettschneider fest.
„Alle Parteien könnten verständlicher formulieren“, ist der Experte
überzeugt. „Das beweisen gelungene Passagen in den Einleitungen und im
Schlussteil. Die Themenkapitel sind hingegen das Ergebnis innerparteilicher
Expertenrunden. Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der
Wähler ihren Fachjargon nicht versteht. Wir nennen das den ‚Fluch des
Wissens’. Zudem nutzen Parteien abstraktes Verwaltungsdeutsch auch, um
unklare oder unpopuläre Positionen zu verschleiern. In diesem Fall sprechen
wir von taktischer Unverständlichkeit.“
Verständlichkeitshürden schließen Leser aus: „Race to the Top“ (Die
Grünen), „Braindrain“ (Die Grünen), „Failed States“ (AfD), „Economic Partnership Agreements“
(SPD), „Genome-Editing“ (FDP), „Small Banking Box“ (FDP), „Share Deals“ (Die
Linke) oder „‘one-in, one-out‘-Regel“ (CDU/CSU): Die Programme aller
Parteien enthalten zahlreiche Fremd- und Fachwörter. Vor allem für Leser
ohne politisches Fachwissen stellen diese eine große Verständlichkeitshürde
dar.
Einen ähnlichen Effekt hätten Wortzusammensetzungen oder Nominalisierungen,
so Prof. Dr. Brettschneider. Einfache Begriffe würden so zu Wort-Ungetümen,
wie z.B. „Erwerbsminderungs-rentnerinnen“ (Die Linke, SPD),
„Statusfeststellungsverfahren“ (FDP) oder
„Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung“ (FDP).
„Auch zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser.
Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln“, erklärt
Claudia Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet
Kommunikationstheorie. „Der längste Satz findet sich im Programm der FDP mit
90 Wörtern. Aber auch bei allen anderen Parteien tauchen überlange Sätze mit
mehr als 50 Wörtern auf. Sätze über 30 und 40 Wörter sind kein Seltenheit.“
Begriffsanalyse: SPD im Oppositions-Modus: Den größten Raum nehmen
die Themen der Sozial- und der Außenpolitik ein. Sie rangieren bei allen
Parteien auf einem der ersten drei Plätze. Lediglich bei den Grünen steht
die Umweltpolitik an erster Stelle. Begrifflich stehen die „Menschen“ und
„Deutschland“ in allen Programmen im Vordergrund. Die Oppositionsparteien
verwenden außerdem besonders häufig die Wörter „müssen“, „sollen“ und
„mehr“. „Auffällig ist, dass auch die Regierungspartei SPD in ihrer Wortwahl
eher dem Oppositionsmuster folgt“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. Die
meisten Parteien erwähnen sich selbst vergl-eichsweise selten. FDP und AfD
sind Ausnahmen: Ihre Parteinamen oder Selbstbezeichnungen („Freie
Demokraten“) stechen in den Worthäufigkeiten deutlich hervor.
Wahlprogramme aus Sicht von Parteimitgliedern: Wie Partei-mitglieder
Wahlprogramme wahrnehmen, ist bislang kaum erforscht. Bei einer Umfrage der
Universität Hohenheim im Jahr 2010 gaben 828 Parteimitglieder an, vor allem
die Kurzversion des Wahlpro-gramms für ein wichtiges Wahlwerbemittel zu
halten. Sie sei nützlicher, besser gestaltet, überzeugender, interessanter
und verst-ändlicher als die Langfassung. Nur die Mitglieder der Grünen
stuften die Langversion als sehr wichtig ein.
„Fast 50 Prozent der befragten Parteimitglieder gaben an, die Kurzversion
‚ihres‘ Wahlprogramms vollständig gelesen zu haben“, so Prof. Dr.
Brettschneider. „Von der Langversion behaupteten das nur 16 Prozent. Zwölf
Prozent der Mitglieder gaben aber auch zu, die Langversion noch nicht einmal
in Auszügen gelesen zu haben.“
Hintergrund: Die Hohenheimer Wahlprogramm-Analyse: Seit 2009
untersucht das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere
Kommunikationstheorie an der Universität Hohenheim unter anderem folgende
Fragen: Kommunizieren die Parteien in ihren Wahlprogrammen so verständlich,
dass die Wahlberechtigten sie verstehen können? Welche
Verständlichkeits-Hürden finden sich in den Wahlprogrammen? Und welche
Themen und Begriffe domini-eren in den Programmen?
Inzwischen haben die Wissenschaftler mehr als 600 Landtags- und
Bundestagswahlprogramme analysiert. Möglich werden diese Analysen durch die
Verständlichkeits-Software „TextLab“. Die Software wurde von der Ulmer
Agentur H&H CommunicationLab und von der Universität Hohenheim entwickelt.
Sie berechnet versch-iedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für
die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen,
Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter).
Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verstän-dlichkeitsindex“
zusammen, der die Verständlichkeit der Programme und Texte auf einer Skala
von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) abbildet. Zum
Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine
durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Politik-Beiträge in der
Bild-Zeitung kommen im Schnitt auf 16,8 Punkte, Politik-Beiträge
überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt
oder der Süddeutschen Zeitung auf Werte zwischen 11 und 14.
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