OB Martin Gerlachs Rede
und was tatsächlich gesagt wurde:
Schubarts Aufmüpfigkeit zu
herrschenden Kl-assen in Aalen nach 272 Jahren vorhanden
"Schubart ist aber auch als Vordenker der
heutigen Pressefrei-heit zu sehen:Er hat sich auch für die Bürgerrechte
eingesetzt"
Von Aalens Oberbürgermeister
Martin Gerlach
OB
Gerlach bei seiner Schubart-Rede. AIZ-Fotos: Dieter Geissbauer
Aalen. Die Rede
von OB Martin Gerlach zur Schubart-Preis-verleihung 2011 am Sonntag dem 3.
April 2011 im Aalener Rathaus hatte es in sich: Der OB ist von seinem
ursprünglichen Rede-manuskript abgewichen (Pressesprecherin Singer hatte
zurecht betont "es gilt das gesprochene Wort") und hat nach 272 Jahren
festgestellt, dass Schubarts Aufmüpfigkeit gegen die herrschenden Klassen
Gott sei dank auch heute noch vorhanden ist. Das hat alle überrascht. Wir
geben die Rede auszugsweise wieder:
Preisträger,
Ehepaar Gerlach und weitere Prominente in 1. Reihe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Christian Friedrich Daniel
Schubart wurde vor 272 Jahren geboren. Er wuchs auf in einer Zeit,
die den Übergang zur Moderne markierte, die Industrialisierung steckte in
England noch in den Kinderschuhen und die politischen Machtstrukturen in
Europa waren noch fest in aristokratischer Hand. Schubart verbrachte seine
Jugendjahre hier in Aalen, einer Stadt, die seit 1360 den Status einer
Reichsstadt inne hatte und deshalb gewissermaßen über Jahrhunderte selbst
zurecht kommen musste.
Aalen pflegte eine
lange freiheitliche Tradi-
tion des Bürgersinns u. skeptischen Haltung
Aalen pflegte eine lange freiheitliche Tradition des Bürgersinns und einer
skeptischen Haltung gegenüber außenstehenden Obrigkeiten. Zu diesem Satz aus
seiner Rede fügte OB Gerlach zur Überra-schung aller hinzu: "Davon
kann man heute noch sprechen". Weiter sagte OB Gerlach: Schubart konnte hier
seine mannigfachen Talente entfalten und auch die Aufmüpfigkeit gegenüber
der herrschenden Klasse nahm hier ihren Anfang.
Stolz in der
Schubartstadt Aalen: Der 1. Preisträger im Rathaus.
Was ist aber nach
272 Jahren von Schubart
noch präsent? Wie lebt er heute noch fort?
Was ist aber nach 272
Jahren Schubart noch präsent? Wie lebt er heute noch fort? Er tut dies in
seinem lyrischen Werk wie in der Forelle", die Schubert durch seine
Vertonung erst bekannt gemacht hat. Er tut dies auch ganz handfest durch
Denkmale und Tafeln hier in Aalen, durch eine Straße, die nach ihm benannt
ist und die Namensgebung eines unserer Gymnasien. In Geislingen ist
Schub-art buchstäblich in aller Munde", dort wird ein Bier namens Schubart
dunkel" gebraut, dem ersichtlich Schubart auch gerne zugesprochen hätte.
Für
Preisverleihung wurde im Foyer und vor Rathaus Flagge gezeigt.
Wahre
Grund für sein Überdauern liegt in der Wirkung seiner Gedanken die
transportierte
Der wahre Grund für sein
Überdauern der Zeit liegt in der Wirkung seiner Gedanken, die er auf
vielfältige Art und Weise transportiert hat. Seine Abneigung gegen die
Obrigkeit hatte ich schon erwähnt. Schubart ist aber durchaus auch als
Vordenker unserer heutigen Pressefreiheit zu sehen, er hat sich für die
Bürgerrechte eingesetzt und hat die Masse der einfachen - unterhalb des
Bürgertums angesiedelten Menschen - angesprochen. Aus der damaligen - nach
unseren heutigen Maßstäben rückständigen - Sicht der herrsch-enden Klasse
war er ein Aufwiegler, der gegen den die Obrigkeit vorgehen musste.
Unter den
Gästen Ex-OB Pfeifle und daneben Landrat Klaus Pavel.
Vielleicht
weht auch heute wieder ein wenig
vom Geist Schubarts durch Aalener Straßen?
Aber vielleicht weht auch heute wieder ein wenig vom Geist Schubarts
durch unsere Straßen. Wir Deutschen sind kein Volk für Revolutionen. Ein
1789 hat es bei uns in dieser Radikalität nicht gegeben und erst im November
1989 war die Zeit wieder reif, dass sich die eine Hälfte Deutschlands gegen
ihre Herrscher erhoben hat. In den folgenden zwei Jahrzehnten war
Deutschland damit beschäftigt, diesen Umbruch gesellschaftlich und
wirtschaftlich zu verarbeiten - und dieser Prozess dauert immer noch an. Es
galt die eigene Rolle in einer Welt mit radikal veränderten
Machtverhältnissen zu finden. Im Innern stand die Sicherung des
wirtschaftlichen Gedei-hens auf der Prioritätenskala ganz oben.
Mit dem Gast
aus Haiti: Landrat Pavel in der eifrigen Diskussion.
Die heutige Jugend
zeigte bislang wenig An-
stalten des Aufbegehrens. Wogegen auch?
Die heutige Jugend zeigte bislang wenig Anstalten des Aufbegehrens. Wogegen
auch? Beinahe jedes Tabu war in den vergangenen 60 Jahren gebrochen worden.
Offensichtlich gab es nichts mehr zu tun.
Seit einigen
Monaten aber regt sich wieder
was in der deutschen Gesellschaft in Aalen
Seit einigen Monaten aber regt sich wieder etwas in der deutschen
Gesellschaft. Es könnte an den nicht mehr rational fassbaren Dimensionen
liegen, mit denen die Menschen am Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise
konfrontiert worden sind. Es scheint mir fast, dass die Monstrosität der
Krise bei Vielen ein latentes Ohnmachtsgefühl in neue Aktivität hat
umschlagen lassen.
Aber auch
Ex-OB Pfeile (neben 1. Bürgermeisterin Heim-Wenzler) hatte auch einiges
Landrat Pavel zur "Pressefreiheit" anzumerken?
Deutschen beginnen
wieder ihren Widerstan-
dsgeist neu zu entdecken: Die "Wutbürger"
Ohne dies werten zu wollen, kann man feststellen, dass die Deutschen
beginnen, ihren Widerstandsgeist neu zu entdecken. Ein Novum der jüngeren
Geschichte aber ist, dass es sich nicht um eine homogene, klar abgrenzbare
Gruppe oder ein Milieu handelt. Die latente Unzufriedenheit geht quer durch
die Alters-, Gesellschafts- und Bildungsschichten. Das viel zitierte Wort
des Jahres 2010 - der "Wutbürger" spricht für sich selbst.
Landtagswahlen
2011: Ein deutlich geäußert-es Ausrufezeichen der Wählerinnen/Wähler
Die Willensbekundungen der Menschen brechen sich auf ver-schiedene Weise
Bahn. Auf den Straßen Stuttgarts wird demon-striert und in Hamburg werden in
einem Volksentscheid Reform-beschlüsse im Bildungswesen geändert. Die
Landtagswahlen in Baden-Württemberg sind erst eine Woche her und für eine
endgültige Analyse ist es sicherlich zu früh. Das Wahlergebnis stellt aber
eine Zäsur dar und es ist nicht übertrieben, auch hier von einem deutlich
geäußerten Ausrufezeichen der Wählerinnen und Wähler zu sprechen.
Die "Aalener"
stehen hinter dem Schubart-Preis: Blick in das Foyer.
"Politiker müssen
Stellschraube der parlam-
entarischen Demokratie weiter entwickeln!"
Der Auftrag der Menschen, der hinter diesen Einzelereignissen steckt,
gewinnt allmählich an Kontur. Die politisch Verantwortlichen sind gehalten
sich Gedanken zu machen, mit welchen Stellschr-auben unsere parlamentarische
Demokratie weiterentwickelt werden kann, um die Nähe zwischen den Menschen
und der politischen Ebene in Deutschland wiederherzustellen und neu zu
definieren. Ich meine deshalb, nicht nur am heutigen Tag ein Echo von
Schubarts Trachten und Streben zu vernehmen. Unser Literaturpreis ist im
Jahr 2011 wieder einmal hochaktuell.
OB Gerlach
hatte eine besonders geschliffene Fest-Rede gehalten.
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